Montag, 30. Dezember 2013

Gegensätze

Ich komme mir vor, wie auf Dienstreise. Das Holiday Inn sieht aus, wie auf der ganzen Welt. Wenn ich genauer hinschaue, kann ich aber schon den südamerikanischen Einfluss erkennen - bei den Funktionen haperts. Den Wasserhahn muß ich beim Öffnen oder Schließen mit der anderen Hand festhalten, sonst dreht er sich mit. Den Stöpsel im Waschbecken kann ich zwar schließen, aber zum Öffnen fehlt der Hebel, da muß ich unter das Becken krabbeln. Die Bedienungseinheit der Klimaanlage rutscht beim Drücken der Knöpfe in das Gerät hinein. Es gibt ein Bügeleisen! Aber der Stecker paßt in keine Dose...
Das teuere Hotel muß ich auskosten! Nach Schwimmbad ist mir zwar nicht zumute, aber das Badezimmer und anschließend das Frühstücksbuffet werden ausgiebig genossen. Eine Banane und einbe Apfelsine lasse ich für den Tag noch mitgehen. Dann steige ich in den versüfften Motorradanzug, die staubigen Stiefel und schnalle meinen Packsack auf die Lisl. Es ist wie eine andere Welt - es paßt nicht zusammen! Ich brauche eine Zeit, bis ich wieder auf der Lisl zu Hause bin. Erst als ich eine Tankstelle gefunden habe und mich eine Hundemeute von der Verkehrsinsel her attakiert bin ich wieder auf "meiner" Reise. Nochmal schnell das Öl kontrolliert - oh, da hat es Mario damals in Puno aber sehr gut gemeint mit mir. Ich glaube, er hat der Lisl mindesten 1/2 l Vorrat mit auf die Reise gegeben. Na, das wird schon irgendwann verbrennen oder ein Leck finden.

Meine Karte zeigt eine Nebenstraßenpiste entlang der Küste. Die möchte ich einfach gerne mal ausprobieren - wenn sie zu schlecht ist, kann ich ja umdrehen. Nach 10 bis 15 km geht endet der Asphalt tatsächlich und eine sandige Waschbrettpiste beginnt. So schnell geb ich nicht auf! Trotzdem frage ich vorsichtshalber ein entgegenkommendes Fahrzeug - in weiteren 2 km ist die Straße endgültig zu Ende. Schade! Ich fahre also zurück und inhaliere mit 2 tiefen Atemzügen nocheinmal die herrliche nach Fisch und Tang duftende Meeresluft, um sie mit in die Wüste zu nehmen.
Dann sind wir wieder auf der "fünfer", der großen Autobahn. Nach gut 20 km dürfen wir sie verlassen, um auf einer Nebenstraße etwas näher aber parallel zur Küste zu bleiben. Allerdings ist davon nichts zu sehen, wir sind immerhin gut 20 km vom Meer entfernt. Ein endloses gerades Asphaltband zieht sich durch die felsige Wüste. Es ist einfach wüst. Zum dahindämmern. Angenehm kühle Luft, aber sengend heiße Sonne auf der Haut. Heftiger Husten schüttelt und Kopfschmerzen plagen mich - hab ich doch eine ordentliche Erkältung erwischt! Die Lisl ist dafür topfit! Hinter einer Kurve stutze ich und erwache aus meiner Lethargie: plötzlich sehe ich Wolken - von oben! Vor mir erstreckt sich der Pazifik und unter mir hängen die Wolken in den Bergen. Unter mir??? Ein Blick auf's Navi zeigt mir, daß wir tatsächlich bis auf knapp 2000 m gestiegen sind! Die dürfen wir jetzt bis Paposo wieder hinunterrollen.

Wie empfinde ich Chile? Schwer zu beschreiben...es paßt irgendwie nicht zusammen, es wirkt nicht authentisch. So wie die palmengesäumten, gefließten Strandpromenaden und Fußgängerzonen nicht zu den direkt dahinterstehenden ärmlichen Häusern oder gar Lehmhütten passen, so paßt diese moderne Straße nicht in die ursprüngliche Wüste. Es wirkt aufgesetzt. Potemkinsche Dörfer (wie der Wasserhahn im Hotel). Als ob es zwei Welten gäbe: die "reiche" und hübsche Welt und die "echte", ärmliche, natürliche Welt. Mir ist die echte Welt lieber, auch wenn es darin vieles nicht gibt. Deshalb fahre ich in Paposo auch nicht auf der neuen Straße weiter am Ort vorbei, sondern absichtlich mitten hindurch. Eigentlich erwartet man hier einen Ort mittlerer Größe, also in Deutschland etwa 2.500 Einwohner. Aber hier finden sich nur wenige Holzhütten. Immerhin haben sie eine teilweise nette Fassade, an der Eingangstür hängt Weihnachtsschmuck und ich finde  eine "Ferreteria" (Eisen- und Haushaltswaren) und ein Restaurant. Dann ist es wohl wirklich eine größere Ortschaft... Und schon sind wir durch und fahren wieder wie im Bus an der Welt vorbei. Es ist immer wieder beeindruckend und unglaublich, wieviel "Nichts" es geben kann! Wie weit man fahren kann, ohne jemandem zu begegnen oder irgendetwas anderes als Landschaft zu sehen. Ich habe schon vergessen, daß auch in Nordamerika weite Landstriche waren, in denen es keine Menschenseele gab.

Ab hier verläuft die Route bis Taltal direkt an der Küste. Es ist soooo herrlich! Zwar sind die Felsen im Meer heute nicht so spannend wie gestern, dafür aber die Berge linkerhand. Phantastische Felsen! Riesige Lunker, Löcher und Höhlen entdecke ich. Scheinbar ein riesiger Lavastrom. So lange her kann das noch gar nicht gewesen sein. Erst beim Anhalten zwecks Foto entdecke ich, daß manche der "seltsamen Steine" gar keine sind, sondern gut getrante Kakteen, die sich hier wohl so langsam ansiedeln. Ich kann mich nicht sattsehen. Und rechterhand rauscht das Meer.

In Taltal haben wir unser Tagespensum erreicht. Ich habe gestern im Internet nach einem Hotel geschaut, die Ortschaft gibt es im Hotelfinder überhaupt nicht! Die nächste und größere Ortschaft ebenfalls nicht. Es ist 15 Uhr und ich schaue mich vor Ort einfach mal um. Es ist ein total verschlafenes Nest. Hat eine schön angelegte Uferpromenade und einen netten Marktplatz, auf dem auch Weihnachtsmusik schallt. Nur, wo sind die Menschen??? Alles ist geschlossen - gut, es ist Sonntag nachmittag...drei Jungs (ca. 12 Jahre) eilen herbei, als ich im Hafen stillhalte. Sie wollen wissen, woher ich bin und ob das eine Helmkamera ist. Ein sommersprossiger Kerl macht ganz viele Faxen, um in meinen Film zu kommen, aber die Kamera läuft ja gar nicht. Ich finde auf Anhieb ein Hotel, kostet 10.000 Pesos (ca. 14 €), hat Internet und Parkplatz. Es ist aus holz gebaut und sieht auch erstaunlich proper aus. Das Zimmer ist nett eingerichtet, die Betten weiß gestrichen, das große Fenster zeigt auf die Straße. Ich könnte mir vorkommen, wie zu Goldgräbers Zeiten im Yukon. Aber irgendetwas pass noch nicht so richtig - ist es zu früh? Möchte ich lieber zelten? Ich treibe mich noch eine ganze Stunde im Ort herum, er wacht nicht weiter auf. Zu guter Letzt finde ich sogar eine Tankstelle, vorsichtshalber bekommt die Lisl was zu trinken. Sie haben sogar einen kleinen Minimarkt und einen Hotdog. Dann fahren wir einfach mal weiter...

An der Küste soll laut Karte eine befestigte Nebenstraße weitergehen. Mein Navi kennt sie nicht. Das ist mir jetzt zu blöd; ich schalte die teure, bei Garmin gekaufte Karte einfach aus. Schon navigiert das Gerät nach OSM, das sind im Internet frei herunterladbare Karten, die ich von Dave bekommen habe. Und da gibt es diese Straße! Der Belag ist etwa wie gestern - festgefahren und griffig - gut zu fahren. Es macht so Spaß, an der Küste entlang zu fahren! Und es gibt weiterhin viele versteckte Buchten und einsame Strände. Es ist allerdings nur ein kurzes Stück, dann wendet sich die Richtung wieder Richtung Landesinnere. Ich wollte bis 17 Uhr fahren, na, wenn ich ein Auge zudrücke, dann habe ich das geschafft. Ca. 500 m fahre ich zurück und finde ein wunderbares Areal zum Zelten.

Noch bevor ich mein Zelt richtig aufgestellt habe, sind auch die letzten beiden Autos in der Ferne verschwunden. Der ganze Strand, ach was, die ganze Küste gehört mir! Mir ganz allein! Ich fühle mich wohl hier draußen und genieße Wind, Luft und Meer.
Es ist diesig, direkt über mir strahlt blauer Himmel, in der Ferne hängen graue Wolken an den Bergen. Es ist keine Strand zum kilomete3rweit laufen. Es ist ein Strand zum entdecken. Die Felsen am Meer sind ganz spitzzackig, haben Fließlinien und Hohlräume. Es ist noch recht junge Lava - ich kann mir richtig vorstellen, wie sie von dne Bergen heruntergeflossen ist um hier im Meer gischtend und dampfend zu erstarren! Wie beim Bliegießen. Die Formationen sind so spannend. Ich entdecke Magmaspuren, rote Linien aus Eisen, die im Fels erstarrt sind - sieht fast aus, wie vertrockneter Tang. Und Muscheln gibt es hier; keine besonders schönen, aber dafür sehr stabile. Die gefallen mir - ich überlege schon, was man daraus machen könnte: kleine Tellerchen, Tassen oder auch nur Aschenbecher. Aber leider muß ich ja Platz und Gewicht sparen. So sitze ich auf meinem Fels über der Brandung, lasse es mir gut gehen und fasse den Tag zusammen.
Weit draußen auf See tuckert ein Fischkutter vorbei - außer der Brandung ist es so still, daß ich das Motorengeräusch schon lange höre. Als die Sonne sich senkt wird es rasch kühl, zuerst muß ich das T-shirt wieder anziehen und mich dann sogar in's Zelt verkriechen. Dort ist es windstill und kuschelig warm! Heißt natürlich nicht, daß ich nicht die Nase hinausstecke und auf das Meer blicke.

http://www.gpsies.com/map.do?fileId=lecsazhvnawemnfe

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