Montag, 13. Januar 2014

Keine Pistensau sondern Saupisten

Um 5 Uhr morgens geht die Sonne auf - ich noch nicht! Aber um halb sieben kann ich mich bequemen. Es ist noch ziemlich kühl - weit und breit keine Mücken zu sehen. Ich packe zügig. Sie erwischen mich bei den letzten Handgriffen - nix wie weg.
Als erstes muß ich die Baustelle meistern. Es geht auf eine rauhe Piste - da werden wir ordentlich wach gerüttelt. Das kurze Asphaltstück zwischendrin war nur Fake, es sind über 20 km Piste.

Ich bange um meinen Sprit - eventuell muß ich einen Umweg von zwei mal 70 km fahren, um in der nächsten Stadt Benzin zu bekommen. Mein Navi erzählt mir, in Rio Mayo (was auf meinem Weg liegt) gäbe es eine Tankstelle. Auf der Karte ist die Ortschaft genausogroß oder -klein eingezeichnet wie gestern das Haus mit dem Namen "Nueva Lubecka". Ich vertraue ihm trotzdem! Ein großes Monument erklärt Rio Mayo zur Landeshauptstadt von Irgendwas. Dann kommt erstmal nichts. Nach 2 km liegt im Tal eine kleine Ortschaft - immerhin hat sie etwa 10 Häuserblocks! Am Ortseingang schalte ich auf Reseve. Eine Kanone zielt auf die Ankömmlinge, direkt daneben thront ein Stadion. Dort scheint heute ein Pferdemarkt stattzufinden, überall stehen Pferde herum und etwas später erlebe ich auch noch ein Stück Pferdeumzug. Das Navi führt mich auf unergründlichen Sandpfaden tatsächlich zur Tankstelle. Keine Schlange. Und es gibt sogar Sprit! Und Internet. Und Geldwechsel. Und einen Kakao, ein Stückchen Kuchen und ein Sandwich für heute abend. Ich frage noch nach Wasser für meinen Vorrat, aber da lehnt die alte Dame ab. Erst als ich sage, ich bräuchte kein Trinkwasser wird sie spendabel. Sie weiß vielleicht nicht, daß ich aus dem Wasser doch Trinkwasser machen kann? Filtern oder/und abkochen.
Ausgeruht, gestärkt und gut gerüstet werfen wir uns jetzt in den Kampf mit der Piste. Laut Karte liegen gut 130 km bis Perito Moreno vor uns. Bei 40 km/h wird das 3-4 Stunden dauern, ich rechne, daß wir nach 4 Uhr nachmittags total kaputt dort ankommen. Die Piste ist schlimm. Ja, es gibt Schlimmeres, aber es ist grober, steiniger Untergrund und manchmal viele lockere, große Kieselsteine obenauf. Alles wird durchgeschüttelt - mein Kopf wackelt so sehr, daß ich oft nicht vernünftig sehen kann. Im Stehen soll es ja besser sein, also bin ich mutig und gehe in die Fußrasten. Meinem Kopf geht es tatsächlich besser, aber die Arme sind zu kurz und so stehe ich gebückt. Schultern, Rücken und Nacken sind verkrümmt, die Hände verkrampft. Meine mittlerweile langen Haare lassen keine kühle Luft an das Genick; trotz geöffneter Jacke wird mir ordentlich warm. Der Wind zerrt an den flatternden Hosenbeinen, zum Glück ist die Hose an die Jacke angeschlossen, sonst würde ich sie vielleicht verlieren. Windhosen! Schon bald brennen die Fußsohlen! Hinsitzen? Geht nicht und ist auch keine Erholung. Noch 100 km! Und morgen erwartet uns Ähnliches. Böse Zungen könnten jetzt lästern, das wäre ein "gutes Training" (sei still im Norden, Du hast es noch vor Dir!). In meinem Trainingsprogramm war "stehen" nicht vorgesehen - es enthielt nur täglich 10 Stunden "Bürostuhl-Sitztraining", was sich bisher erfolgreich bewährt hat. Noch 90 km! Gewöhn Dich dran! Trinken nicht vergessen. Oh, Wasser ist aus? Beim nächsten Durst muß ich wohl an die Aufbereitungsanlage. Wir eiern tapfer weiter.

Direkt nebendran verläuft eine nagelneue, schwarze, ebene, schlaglochfreie, kerzengerade Asphaltstraße! Kein Weg führt dorthin - zwischen uns liegt ein Kieswall, ein Graben und dann eine 1 m hohe Kiesböschung. Die Straße ist wohl nur zum Anschauen gemacht?! Ja, hübsch habt ihr die gemacht. Und nur weil die weißen Streifen noch fehlen laßt ihr uns nicht drauf?
Nach gut 40 km dürfen wir tatsächlich hinüber auf den Asphalt! Wie lange wohl? Wie heute morgen - nur ein paar Meter??? Nein! Die herrliche Asphaltstraße führt uns bis nach Perito Moreno! Ohne weitere Zwischenfälle. Welcher Straßengott hat uns heute wohl erlöst?

Es ist schon seltsam - einerseits dieser Wunsch nach Piste und Abenteuer, die Lästerei über "Asphaltfahrer", andererseits die Angst davor und die Freude über eine geschaffte Piste. Asphaltstraße ist bequem. Man kann genießen! Die Landschaft anschauen, Dinge erspähen. Das geht auf Piste nicht. Aber mit einer Piste gekämpft und sie besiegt zu haben, das macht glücklich! Kein Sturz! Aber total geschafft. Ich glaube, das schöne am Abenteuer ist nicht, mittendrin zu sein, sondern die vielen kleinen Siege die man täglich erringt. Sei es, eine Piste hinter sich gebracht zu haben, eine erfolgreiche Heilung der Lisl hinbekommen zu haben oder sonstige Unbill überstanden zu haben. Das macht stolz.

Jetzt sind wir schon sehr weit gekommen. Aber laut Karte ist in Perito Moreno nichts attraktives zu erwarten. Ein paar km westlich liegt ein großer See. Weil wir so früh dran sind, beschließe ich, dort nach einem hübschen Platz zu suchen. Die Straße ist weiterhin super - da packt mich der Rappel und ich entscheide mich, bis zur Grenzstadt Los Antiguos weiterzufahren. Morgen müssen wir zwar zurück, aber auf dieser Straße ist das ja ein Klacks. Der See heißt hier in Argentinien "Lago Buenos Aires", in Chile "Lago General Carrera". Auf der chilenischen Seite ist er als wunderschön beschrieben, aber auch als sehr schwer befahrbare Piste. Also möchte ich ihn wenigstens von hier aus mal anschauen. Lohnt sich, denn in der Ferne sehe ich wieder die schönen schneebedeckten Berge. Nicht mehr die öde Pampa!
Gleich am Ostende des Sees sieht es nach guten Campingmöglichkeiten direkt am See aus - behalte ich im Hinterkopf. Die Straße führt nochmal etwas vom See weg und jetzt spüre ich auf der Haut den Unterschied: ich fühle die trockene Hitze der Pampa, vorhin hat der kalte Seewind ordentlich durch die Jacke gepfiffen.

In Los Antiguos gibt es erstmal eine gründliche Polizeikontrolle - nebenher bietet mir ein nettes Mädel allerdings herrliche Kirschen zum probieren an. Es ist Fiesta in der Stadt und sie gibt mir ein Werbekärtchen über ihren Stand. Ich erwarte ein hübsches Touristendorf - die vielen Schilder vor dem Ortseingang haben immens viel versprochen. Ich lande auf der Uferpromenade, die ist wirklichg hübsch gemacht - zumindest auf der Seeseite. Auf der Landseite stehen ein paar Hütten (zum vermieten), dahinter Staubstraßen. Sicher gibt es einen hübschen Campingplatz, immerhin ist der "Camping municipal" auf einem hübschen Holzschild ausgewiesen. Anschauen; auf staubigem Boden steht Zelt an Zelt, Autos knattern zwischendurch, laute Musik und dafür soll ich 70 Pesos zahlen. Ne, danke. Da fahr ich nachher lieber wieder zurück an den See.
Restaurants oder Cafes sehe ich keine - sind aber beworben worden. Vielleicht in der Stadtmitte? Da komme ich aber nicht rein - wegen Pferdemarkt ist alles gesperrt. Na gut, dann schau ich wenigstens mal, wie eine argentinische Fiesta aussieht. Stand an Ständchen stehen die Verkaufsbuden die Straße entlang, das scheint ja auf der ganzen Welt gleich zu sein! Die dröhende Musik, die den Nachbarn übertönen muß, ist eine andere. Auch die Waren sind ein wenig anders - hier gibt es ausgehölte Kuhhörner, Teegefäße in tausend Arten, belederte Fahrtenmesser, Pferdezubehör (interessante Sättel, Steigbügel und Lassos) und eine Menge anderen Ramsch (Sonnenbrillen, Klamotten, Spielzeug...). Vom Ort selbst sehe ich nichts. Der Markt geht schon zu Ende, die Fressbuden haben kaum noch etwas - aber eine Portion frische Pommes und eine Cola (mein Lieblings-Notfall-gesundes-Mittagessen) bekomme ich grade noch.

Zurück. Am Ende des Sees führt ein kleiner Weg direkt ans Ufer, zwischen Hauptstraße und Ufer stehen noch ein paar kleine Bäume - ideal! Ich finde ein kleines Plätzchen neben dem Weg, das nicht bewachsen ist - allerdings muß ich die vielen losen Kieselsteine erstmal "wegfegen" (mit dem Schuh). Sonst schlafe ich heute Nacht nicht. Wellen rauschen - nein, wir sind nicht am Meer. Es kann auch keine Flut geben. Aber den Wind habe ich wohl unterschätzt - er bläst stramm! Das Zelt ist gut vertäut aber als ich reinkrabble, ist es total voll von feinem Sand. Der setzt sich überall rein - in den Schlafsack, den Waschbeutel, die Laptoptastatur...das kann ja heute noch heiter werden!
Mein Navi spinnt ein wenig, es hat heute den Track nicht ordentlich aufgezeichnet - keine Höhe oder Geschwindigkeit; aber nur auf den letzten 60 km. Aber es hat ja noch mehr Macken - Garmin soll nur warten, bis ich zu Hause bin. Dann müssen die mir Einiges erklären!

Noch ein philosophischer Gedanke zu meiner Reise... Ich bin beileibe kein Marathonläufer, aber ich stelle mir vor, daß es Langstreckenläufern ähnlich geht wie mir auf dieser Reise. Zu Beginn eilt und hetzt man, es ist ja schließlich ein Rennen - zumindest mit der Zeit. Dann wird alles ruhiger, ein Rythmus hat sich eingespielt, alles läuft von alleine, irgendwie. Und dann naht das Ende. Endspurt! Nochmal richtig Gas geben und alles herausholen! So fühlt es sich gerade an.


http://www.gpsies.com/map.do?fileId=ogxgfjganzoigwin

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