Donnerstag, 28. November 2013

Kaffee

Noch vor wenigen Tagen habe ich behauptet, ich wäre froh, wenn ich Kolumbien hinter mir hätte. Von diesem Land habe ich außer Regen nur Gefahren und falsche Polizisten erwartet. Jetzt entdecke ich, daß es hier schrecklich viel zu sehen gibt. Das Land ist wunderschön und die Leute sind sehr freundlich, nett und hilfsbereit. Auch nicht aufdringlich. Kolumbien ist kein Abenteuerland mit schrecklich schlechten Pisten, Hinterhalten und Notstand. Die touristischen Attraktionen sind erschlossen und gut erreichbar. Ich glaube, hier könnte ich noch Einiges entdecken.

Endlich gibt es mal wieder ein Frühstück. Das ist selten in den Hotels. Und irgendwo etwas essen mag ich nicht am Morgen, so habe ich mir angewöhnt, morgens einfach ohne etwas auf die Reise zu gehen. Frisch gestärkt freue ich mich also heute auf den "Kaffee-Nationalpark". Bin gespannt, was ich dort lerne. Durch Bananenplantagen geht es zum Kaffeepark! Mir wurde gestern gesagt, der Park öffnet um 8 Uhr, also will ich die Morgenfrische ausnutzen. Ich bin um 9 Uhr dort. Dutzende Kinder in Schuluniform stehen vor dem Eingang Schlange - aha, Schulausflug!? Schön, daß die Kinder etwas über Ihr Land lernen wollen. Ich muß von der Straße runter, links ist ein großes Tor zum Parkplatz. Davor steht Sicherheitspersonal. Sie wollen mich nicht reinlassen, der Park öffnet erst um 10 Uhr! Wieso das denn jetzt? Jetzt bin ich schon angenervt. Eine Eintrittskarte habe ich schon im Hotel kaufen können, der Parkplatz soll extra kosten. Ich suche eine Kasse, um die Gebühr zu bezahlen, aber das Personal will mich nicht vom Motorrad weglassen. Es ist schwül geworden, ich stelle die Lisl erstmal auf den Ständer, ziehe mich aus und verstaue den Regenkombi - sprich, ich mache es mir vor dem verschlossenen Tor für die nächste Stunde gemütlich. Aber das ist auch nicht recht, Angestellte wollen hereinfahen. Plötzlich erlaubt man mir, neben der Kasse hinter einer Hecke zu parken. Nun kann ich auch alles herrichten und die Straßenstände besichtigen. Straßenhändler wollen mir Hüte verkaufen, ein älterer Herr mit Familie spricht mich in perfektem Englisch an und gibt mir ein paar Tips. Endlich ist Einlaß - die nächste Enttäuschung: das ist ja ein Vergnügnungspark a la Disneyland! Darum die vielen freudigen Kinder! Eigentlich will ich gleich wieder umdrehen, aber wo ich halt jetzt schon mal drin bin... Es gibt tatsächlich einen Abschnitt des Parks, der die Kaffeeplanzen, deren Aufzucht und Ernte zeigt. Ich habe mir vorher nicht angesehen, wie Kaffeplanzen aussehen, aber ich hatte eine ganz andere Vorstellung davon! Auch die Verarbeitung der Kaffeebohnen kann man an verschiedenen Stationen kennenlernen. Dann kommt die Station "Kaffeeshow" - neugierig gehe ich hinein und sehe Baletttänzer üben. Schon ist ein freundlicher Sicherheitsbeamter da, der mir erklärt, daß die Show erst um 13:30 Uhr stattfindet und ich hier nicht bleiben darf. Es ist heiß geworden und der Lehrpfad geht durch ein Tal, das man am Ende mit vielen Stufen wieder verlassen muss. Die Sesselbahn ist noch nicht in Betrieb. Kurz vor dem Ausgang gibt es noch ein kleines Museum, in dem weitere Dinge zu lernen sind, das nehme ich noch mit. Dann will ich weiter. Es ist schon fast Mittag und ich bin heute noch nicht weit gekommen. Die Holländer wollen heute bis Buga fahren, vielleicht können wir uns da ja treffen?

Die wunderschöne Nebenstraße von gestern setzt sich heute hier fort; die nächtlichen Gewitter haben die Luft gereinigt. Es erinnert mich an zu Hause, wenn ich manchmal ein kleines Sträßchen durch den Wald finde und denke "das ist ja wie im Urwald!". Hier ist es im Urwald! Hmmmmmmmmmmm!
Auch eine Nebenstraße mündet mal in einer Hauptstraße. Diese soll mich nach Bugla und später Richtung Buenavista führen. Sie ist breit, später sogar oft 3- bis 4-spurig ausgebaut und der Schwerlastverkehr hält sich vorerst noch in Grenzen. Und dann passiert ein schlimmes Unglück! Ich sehe weit vor mir einen Mann über die Straße rennen, er fällt der Länge nach hin und anscheinend verteilt sich was er getragen hat über der Straße. Ich bremse und rolle langsam hin, der Mann rührt sich nicht. Was ich für seine Habseligkeiten gehalten habe, war ein Motorrad mit Beifahrerin, die mich vor höchstens zwei Minuten überholt haben. Sie waren kaum schneller als ich, 70-80 km/h. Die Motorradfahrer sitzen am Straßenrand aber der Mann liegt regungslos auf der Straße. Eine Menge Menschen sind schon zu Stelle und so fahre ich in großem Bogen um die Unglücksstelle herum. Ich verstehe sowieso nichts und möchte, ehrlich gesagt, nicht in Kolumbien in irgendeine Sache verwickelt werden.
Die schrecklichen Bilder gehen mir nicht aus dem Kopf - viele Fragen "warum?" qälen mich. Mein eigener Unfall taucht wieder auf. Geschockt und wie in Trance fahre ich weiter, allerdings ein ganzes Stück langsamer. Ich merke kaum, wenn mich jemand überholt, alles funktioniert nur irgendwie automatisch. Nichts um mich herum kann ich aufnehmen.

Als ich in Buga ankomme, ist es noch zu früh um aufzuhören. Kaum eine Abwägung, einfach nur ein Moment des Zögerns, dann folge ich dem Navi Richtung Buenaventura. So langsam komme ich wieder zu mir und plane den restlichen Tag. San Cipriano habe ich mir vorgenommen - dort soll es Motorraddraisinen geben, die einen zu schönen Wassertümpeln im Dschungel fahren. Der Ort dürfte auf halbem Weg nach Buenaventura (am Pazifik) liegen. Mein altbekannter Fehler schleicht sich wieder ein - ich nehme mir zuviel vor. Ich denke, ich könnte kurz dorthin fahren und dann vor 17 Uhr wieder zurück in Buga sein. Weit gefehlt!!! Ab jetzt wird der Tag einfach nur immer schlimmer...
Schlechte schmale Straße, LKW-Schlangen mit 14 km/h in beide Richtungen, Baustellen über Baustellen, sandige und staubige Abschnitte, Nieselregen, schlammige Gischt. Schlaglöcher ignorieren wir schon lange, die Lisl schluckt sie einfach. Aber jetzt taucht unter dem LKW direkt vor uns ein mehr als 2-faust-großer Stein auf. Zu spät zum ausweichen; Lisl's Vorderrad hüpft ordentlich zur Seite, aber sie fängt sich zum Glück wieder. Die Brille ist blind - kurze Pause, Toilettengang und Brille etwas säubern. Der Restaurantbesitzer dort kennt San Cipriano - ja, ist noch 30 km; sehr schön dort. Nur noch 5 km auf der Hauptstraße, dann biegt eine Nebenstraße ab.
Aus den 5 km werden weiß-nicht-wieviel inklusive weiterer 3 Baustellen. Irgendwann entdecke ich zwischen den LKWs ein Hinweisschild - die Abzweigung sieht aus, als ob sie nur zu ein paar Häusern führen würde. Es sind schäbige schmutzige Hütten. Die meisten Menschen hier sind dunkelhäutig - bisher haben fast alle Kolumbinaner weiße oder helle Haut gehabt. Neben mir taucht ein Moped mit 2 schwarzen Jungs auf - sie belabern mich ohne Ende und lotsen mich die Nebenstraße hinunter. Hier stehen tatsächlich die Draisinen. Mittlerweile stehen 5 Kerle um mich rum, einer schreit lauter als der andere, sie rufen noch weitere Menschen hinzu. Ich halte mir die Ohren zu! Es dauert lange, bis ich verstehe, was Sache ist. San Cipriano ist ein Naturreservat, zu dem man nur mit diesen Draisinen kommt. Es sind ca. 20 min Fahrt und sie lassen es sich ordentlich bezahlen. Meine Lisl kann nicht mitkommen, sie muß hierbleiben. Alle möglichen teuren "Garagen" werden mir angeboten, vom Ziegenstall bis zum Wohnzimmer. Ich müßte mein Gepäck mitnehmen. Ob es dort oben dann wirklich Hotels gibt und ob die mich haben wollen und ob sie mir gefallen, steht alles in den Sternen. Mir ist sehr unwohl! Die Menschen hier finde ich sehr aufdringlich. Liegt die Mentalität an der Hautfarbe? Oder bin ich heute einfach nur schlecht drauf? Nein, sagt mein Bauch, das mach ich nicht. Ich bedanke mich und fahre zurück auf die Hauptstraße. Es ist jetzt schon nach 16 Uhr; keine Zeit zum Zurückfahren nach Buga. Bleibt nur noch Buenaventura. Das ist eine große Hafenstadt am Pazifik - da muß es ja haufenweise nette Hotels geben.
Und schon begrüßt mich ein verblaßtes Schild in Buenaventura. Bis zum Meer sind es aber noch 20 km! Ach Du liebe Zeit - schon wieder hektische Stadt! Nach dem ersten Nadelöhr läuft es zum Glück ganz passabel. Bis ich im Zentrum auf einer Halbinsel ankomme. Es ist der Horror! Schreckliche Häuserfassaden, schwarz auf dem ehemals weißen Putz, überall Leitungen kreuz und quer, eingefallene Gebäude, an jeder Straßenecke riesige Löcher oder Baustellen. Ich gerate anscheinend auf eine reine Omnibusstraße, ich werde angeschimpft. Bis zu Uferpromenade möchte ich mich durchkämpfen - aber die gibt es nicht. Der Blick auf das Meer ist verbaut durch Kasernen, Frachtplätze oder andere heruntergekommene Gebäude. Heiß. Dreckig. Wahnsinnig laut. Eng. Ich bin total genervt. Da prangt ein großes Hotelschild an einem ordentlichen Gebäude. Die Tür ist verschlossen. Ein Autofahrer will helfen, er kennt ein günstiges Hotel in der Nähe. Sie haben nicht mal einen Lüfter im Zimmer, kein Internet und vor allem keinen Platz für die Lisl. Dierkt nebenan dröhnt etwas so schrecklich laut, daß man kaum sein eigenes Wort versteht. Jetzt platzt mir der Kragen! Das wird nichts. In der Nähe sehe ich noch 2 oder 3 Hotelschilder - der Mann verabschiedet sich und ich gehe auf Fragetour. Ich habe etwas Angst, weil ich oft in den ersten oder zweiten Stock zur Rezeption muß und meine Wertsachen alle auf der Lisl bleiben. Machen wir es kurz: alles ist gleich schlecht. In der ganzen Stadt herrscht Stromausfall - Zimmer werden mit der Taschenlampe besucht. Ich entscheide mich für das Hotel über dem schrecklich lauten Stromaggregat (das dazu gedient hat, per elektrischer Beschallung die Menschen in der Kirche im Erdgeschoß in Esktase zu versetzen). Das Aggregat wird gerade abgeschaltet - eine himmlische Ruhe kehrt ein! Angeblich haben sie hier von 18 bis 23 Uhr Strom! Die Lisl? Es wird lange gezeigt und geschrien. Schließlich geht eine Helferin voraus in die nächste Querstraße und schließt ein klappriges Rolltor auf. Die Lisl darf in einen gefließten Raum. Ich werde morgen erfahren, was mich das kostet. Es ist mir momentan egal.

Der Schweiß rinnt an mir herunter und hinterläßt auf meinem verrußten Gesicht helle Spuren. Die Senora an der Rezeption lacht sogar - ich muß schrecklich aussehen. Aber seht selbst....
Mein Zimmer ist eine fensterlose Zelle. Die Waschbeckenkontrolle hat "Wasser ja" ergeben, aber der Nachhaltigkeitstest in der Dusche ist enttäuschend. Jeder Tropfen, der die Duschleitung ohne Brausekopf verläßt, wird von mir gierig aufgefangen! Selbst nach 3-maligem einseifen hinterläßt mein Gesicht auf dem Handtuch noch graue Spuren. Die Duschabkühlung hilft nur kurz, im Zimmer ist es schwül. Ich entdecke eine Klimaanlage, aber ich kann sie nicht zum Leben erwecken. Das Notstromaggregat liefert nicht genug Power. Ich will weg hier!



PS: Ich habe am 14.11. noch einen Eintrag vergessen, wer möchte kann dort nochmal nachschauen...

http://www.gpsies.com/map.do?fileId=jcyxuvasumwmrztz

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