Samstag, 7. Dezember 2013

Suboptimales Timing

Es ist eine kurze Nacht. Um 4 Uhr morgens beginnt direkt vor meinem Fenster ein Mädel, per Skype lautstark ihre Beziehungskrise zu bearbeiten. Um 6 Uhr ist sie fertig. Ich auch. Der Tag beginnt mit Kopfschmerzen.
Bevor ich losfahre, bringe ich doch noch ein Paket zur Post - es sind nur wenige leichte Sachen darin. Es wiegt trotzdem 1,2 kg und soll 60 $ kosten. Als ich zustimme, sagt der Postbeamte, er müsse sehen, war drin ist. Er öffnet das Paket, sieht die Korallen aus der Karibik und ruft in der Zentrale an. Nein, Korallen dürfen sie nicht verschicken. Dann eben nicht. Aber die Postkarte aus Panama mit den SD-Karten meiner Fotos und Filme, die schicke ich trotzdem fort. Den Rest packe ich wieder ein. Auf dem Rückweg gibt's zum Frühstück eine leckere echte heiße Schokolade.

Mein Kleidersack hat ein Loch bekommen, die Naht reißt auf. Das muß ich unbedingt flicken, sonst werden meine Klamotten naß. Arun und Andre sind beim Frühstücken. Ich packe meine Sachen und verabschiede mich, ich möchte nicht in der Gruppe reisen. Einerseits möchte ich die beiden Jungs mit ihren großen 1200-er-GSen nicht aufhalten und andererseits mag ich meine Freiheit behalten. Man sieht sich auf der Straße...

Viele Argumente haben mich davon überzeugt, ebenfalls die Route über das Amazonasbecken zu nehmen. Allerdings möchte ich Cuenca nicht verpassen, d.h. ich muß frühzeitig wieder nach Westen die Berge erklimmen. Die Straße hinunter hält, was mir versprochen wurde. Ein gutes Asphaltband windet sich mit dem Rio Negro zusammen die Schlucht entlang, der Verkehr ist erträglich. Ein paar Tunnels trennen uns gelegentlich vom Fluß - ich hoffe mal, daß diese Tunnels nicht gerade in Vulkane gehauen sind. Michaela hat mir erzählt, daß ihr Vulkan regelmäßig Asche auswirft, fast monatlich. Einmal wurde sie auch schon evakuiert, als er Lava gespuckt hat.

Nocheinmal Dschungel-Feeling. Ich vermute, das wird das letzte Mal sein. Also genießen und Abschied nehmen. Im Amazonasbecken (auf knapp 1000 m) hustet die Lisl immer noch. Ich fürchte, das wird sie bis zum Ende der Reise behalten - so wie ich mein Zahnweh. So hat halt jeder seine Zipperlein.
Unterwegs gerate ich in eine Poliziekontrolle; diesmal dauert es ziemlich lange und sie sind sehr genau. Sogar den Paß muß ich herauskramen. Die Fahrt durch den Dschungel entlang des Rio Pastaza genieße ich sehr, wo es möglich ist, lege ich einen Fotostop ein. An der nächsten Möglichkeit, an's Flußufer zu gelangen, stehen schon 2 Mopeds - Andre und Arun...wir haben uns gegenseitig ab und zu überholt. Hier sehe ich sie zum letzten Mal, sie werden im Amazonasbecken weiterfahren.

Südöstlich von mir ballen sich jetzt gegen Mittag schwarze Gewitterwolken in den Bergen. Mir graut. Ein paar schwere schmerzhafte Tropfen bekomme ich ab, dann wird es vor mir wieder hell. So tasten wir uns hart an der Regengrenze entlang, bis es vorbei zu sein scheint. Dann  biege ich nach Westen in die Berge Richtung Cuenca ab. Gegen 3 Uhr erwischt es mich dann! Ein Gewitter. Rechtzeitig mache ich alles regendicht und koche in meinem Anzug.

Ich hab mal wieder falsch kalkuliert...15 Uhr ist die Zeit, um an das Tagesende zu denken. Ich habe gerade eine neue Etappe eröffnet! Bis Cuenca liegen jetzt ca. 170 km vor mir - eigentlich eine ganze Tagestour. Vielleicht sind es sogar noch mehr, denn die Straße schlängelt sich in unendlich vielen großen und kleinen Serpentinen durch die Berge.
Das Dumme daran ist, daß es durch einsame Berge geht, ohne Siedlung. Immerhin auf einer neuen Straße - so neu, daß weder Karte noch Navi sie kennen. Und daß kaum Verkehr ist. Es gibt noch ein paar wenige kurze Baustellen. Bis auf eine, die hat es in sich. Genau an der Stelle, wo es rechts von mir ungesichert in den Abgrund geht, wird die Straße eng, einspurig und besteht nur aus lehmigen tiefen Spurrillen. Aber auch das meistert meine Lisl einwandfrei.
Schrecklich viele Hunde gibt es hier und die machen sich einen Spaß daraus, uns zu jagen. Solange sie hinter uns her rennen, oder von der Seite kommen, kann ich das aushalten, aber auf Vorderradhöhe oder gar von vorn nervt es extrem! Bis es einen erwischt - vor lauter Jagdvieber gerät er unter ein entgegenkommendes Auto. Selber schuld!
Zwei Stunden lang erklimmen wir in Gewitter, Regen und dichtem Nebel bei extrem schlechter Sicht große Höhen und tasten uns oft nur die Straße entlang. Zwischen den Regen- und Wolkenschwaden kann ich die phantastische Aussicht nur erahnen. Schade...
Es wird so langsam knapp mit der Übernachtungsplanung. Die Zeit schreitet dahin, kein Hotel weit und breit zu sehen. Es wird ein Wettlauf mit dem Sonnenuntergang - in Dunkelheit möchte ich hier nicht mehr fahren müssen. So langsam komme ich in bewohnte Gebiete, allerdings gibt es hier keine Chance auf Hotel. In einer größeren Ortschaft zeigt man mir dann doch ein Hotel - das ist aber geschlossen. Zum Glück - soweit ich das von außen beurteilen kann. Die Sonne ist gnädig mit mir und geht nur langsam unter. Selbst als sie weg ist, dämmert es noch lange genug, um gegen halb sieben Uhr in Paute, ca. 60 km vor Cuenca ein Hotel zu finden.

Es sieht nach einem sehr noblen Hotel aus, aber ich habe keine Auswahl. Ich bin überrascht - für die 25 $ bekomme ich ein schönes Zimmer, die Lisl steht im gefließten Hof. Der Hotelbesitzer höchstpersönlich kümmert sich um mich - er spricht perfekt englisch. Seine Angestellten stehen reihenweise in feinem Outfit bereit: es finden heute 2 Veranstaltungen statt, mein Zimmer liegt dazwischen. Am Abendessen kann ich teilhaben, allerdings nur auf dem Zimmer. Das bedeutet, daß mir der livrierte Zimmerservice ein 3-Gänge-Menü bringt.
Der Besitzer entschuldigt sich für die Störung und bietet mir bei Bedarf ein anderes Zimmer an. Vor meiner Tür findet (für eine halbe Stunde, aus der mehr als 3 Stunden werden) ein Gottesdienst mit viel Musik statt. Der Sänger und Gitarrist hat eine sehr schöne, klare Stimme. Unter mir wird eine Hochzeit gefeiert. Weh tut es meinen Ohren nur, wenn die Musiker zeitgleich unterschiedliche Tonarten anschlagen. Kann man ein Land und seine Menschen direkter erleben?

Das war ein langer Tag. Ich ärgere mich sehr, denn ich habe mein "Stahlratte"-T-shirt verloren! Am späten Abend gehe ich nochmal vor die Tür - gegenüber dem Hotel liegt ein kleiner Park, eigentlich nur eine Wiese, die sich bis zum Fluß erstreckt. Hier am Flußufer zu stehen, dem Plätschern zu lauschen, ein paar Sterne zu beobachten und die Feiern nur aus der Ferne zu hören tut sehr gut!



http://www.gpsies.com/map.do?fileId=muiwedjovyibpwdd

3 Kommentare:

  1. Was hängt da an dem Baum (3. Bild von unten ). Was sind das für Früchte ? Lg. Claudi

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  2. Die würden Dir nicht schmecken. Das sind Nester - ich weß bloß nicht mehr, von welchen Vögeln...

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  3. Oh, Du meine Güte; auf die Idee wäre ich nicht gekommen; sieht ja echt cool aus

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